Ein Neonazi springt dem verbotenen Islamischen Zentrum Hamburg bei. Schiitische Islamisten protestieren gegen das Verbot des rechtsextremen „Compact-Magazins“. Was kurios klingt, zeigt inhaltliche Überschneidungen zwischen Rechtsextremen und Islamisten auf. Nicht nur Antisemitismus vereint beide Seiten.
Ausgerechnet ein Neonazi beklagt sich über das Verbot des Islamischen Zentrums Hamburg durch das Bundesinnenministerium. „Der Verbotsstaat macht weiter“, schreibt der in Chemnitz lebende Rechtsextremist Michael Brück am Mittwoch in seinem Telegram-Kanal.
Das Verbot sei kein Vorgehen gegen Islamisten, sondern eine aus den USA befohlene Eskalation gegen den Iran, behauptet er. Diese seltsam wirkende Solidarität zwischen zwei eigentlich sehr verschiedenen politischen Lagern ist weder einseitig noch ein Einzelfall.
In der Woche zuvor hatte das Bundesinnenministerium die Compact-Magazin GmbH verboten, die das gleichnamige rechtsextreme Magazin herausgab. „Compact“ hat dagegen nun eine Klage und einen Eilantrag beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.
Gegen das Verbot gab es auch Proteste – nicht nur von Rechtsextremen, sondern auch von schiitischen Muslimen, die dem iranischen Mullah-Regime nahestehen. Ein Youtube-Video zeigt einen Mini-Protest in Bremen, drei Männer und drei Frauen in Kopftüchern und langen Gewändern stehen vor dem Hauptbahnhof der Hansestadt und halten Schilder mit Aufschriften wie „Nein zur Meinungsdiktatur“ und „Muslime gegen Compact-Verbot“ in die Kamera.
War übrigens ziemlich cringe das Video
Dabei hatte das „Compact-Magazin“ immer wieder gegen Muslime in Deutschland gehetzt. Wie geht das zusammen?
Fast so, als ob Rechtsextreme nicht rational sind
Das Video wurde von Hüseyin Özoguz veröffentlicht, er ist auch der Einzige, der darin in die Kamera spricht. Er sei natürlich gegen die islamfeindlichen Inhalte des Magazins, sagt er. Trotzdem sei das Verbot eine nicht zu rechtfertigende Zensur.
Özoguz sagt: „Wenn man sich für den Frieden einsetzt in der Ukraine, dann ist man Putin-Versteher. Wenn man sich einsetzt gegen zu scharfe Maßnahmen gesundheitlicher Art, dann ist man ein Corona-Leugner. Wenn man das Apartheids-Regime und seine Massaker anprangert, dann ist man ein Antisemit, man wird verfolgt medial, man wird politisch verfolgt, man wird vom Innenministerium verboten, der Job wird einem streitig gemacht.“
Özoguz betreibt den Youtube-Kanal „Actuarium“. In seinen Videos ergreift er Partei für die islamistische Terrororganisation Hamas, stellt sich an die Seite des iranischen Regimes und der libanesischen Hisbollah.
Er verbreitet auch die rechte Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“, spricht davon, dass die US-Politik angeblich Migrationswellen gegen Deutschland plane.
Wie dumm muss man sein, um als Islamist gegen Migration zu sein?
Özoguz agitiert gegen LGBTQ-Rechte und verteidigt rechtsextreme AfD-Politiker wie Björn Höcke gegen mediale Vorwürfe. Laut eigenen Angaben wurde im Zuge des Verbots des Islamischen Zentrums Hamburg am Mittwoch auch Özoguz‘ Wohnhaus durchsucht.
Auch sein Vater Yavuz Özoguz – der Bruder der SPD-Politikerin Aydan Özoguz, die sich von dessen politisch-religiösen Ansichten distanziert hat – kritisiert das „Compact“-Verbot. Er betreibt die schiitisch-islamistische Webseite „Muslim-Markt“.
Dort schreibt er darüber, warum er sich über das „Compact“-Verbot nicht freuen könne. „Zunächst einmal kenne ich den Chefredakteur Jürgen Elsässer seit über zwölf Jahren“, erklärt Özoguz Senior. 2012 habe er eine Reise in die Islamische Republik Iran organisiert, an der auch Jürgen Elsässer teilgenommen habe.
Teil der Reise war auch eine „Privataudienz beim damaligen Präsidenten Ahmadinedschad“.
Im Zuge der islamfeindlichen Pegida-Proteste kam es zwar zu einem Zerwürfnis zwischen Elsässer und Özoguz. Bis heute verbindet beide jedoch ihre antiwestliche, antiamerikanische und israelfeindliche Einstellung.
Ich denke der Antisemitismus und die Homophobie sind größere gemeinsame Themen bei denen
Das „Compact-Magazin“ verbreitete in den vergangenen Jahren immer wieder antisemitische Verschwörungserzählungen, stellte sich an die Seite Russlands und machte die USA für alles Übel in der Welt verantwortlich.
To be fair: USA schon für viel übel verantwortlich
Für Unterstützer des iranischen Mullah-Regimes ist das überaus anschlussfähig.
Ebenso passen Sympathien für das iranische Regime und seine Vertreter und Anhänger in Deutschland gut in die Weltsicht vieler Rechtsextremer, darunter auch einiger AfD-Politiker, die sich für eine enge Anbindung Deutschlands an Russland und dessen Verbündete Iran und China einsetzen – und damit für eine Abkehr von der transatlantischen Partnerschaft mit den USA.
„Die Anfang der 1960er erbaute Blaue Moschee in Hamburg stand für einen Islam in Deutschland vor der Masseneinwanderung, der noch kein Problem war, und stand für die traditionell guten deutsch-iranischen Beziehung. [sic!] All das haben die Altparteien zerstört“, schreibt der sachsen-anhaltinische AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider auf X (vormals Twitter).
„Islamisten sind eine Form des Islams, der für uns kein Problem ist“ - Hans-Thomas Tillschneider, AfD (sinngemäß)
Der AfD-Europaabgeordnete Tomasz Froelich schreibt, es habe sicherlich auch eine geopolitische Komponente, dass „ausgerechnet schiitische Kräfte verboten werden, während man die Kalifats-Wahabis gewähren lässt“.
Jesse, what the fuck are you talking about?
Kriminalisiert würden jene Muslime, „die geopolitisch gegen den westextremen Strom schwimmen“.
„Westextrem“
Dass Rechtsextreme sich an die Seite Irans stellen, oder Partei für die Palästinenser und die islamistische Terrororganisation Hamas ergreifen, ist keine neue Entwicklung. Der eingangs erwähnte Michael Brück war, bevor er nach Chemnitz zog und bei der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“ aktiv wurde, einer der führenden Köpfe der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen. Er gehörte bis zum Verbot durch das NRW-Innenministerium zur Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“, war anschließend in der rechtsextremen Partei „Die Rechte“ aktiv.
Während des Gaza-Kriegs 2014 beteiligten sich Brück und andere Neonazis in Dortmund an einer von Muslimen organisierten pro-palästinensischen Demonstration. Im selben Jahr beschimpften Neonazis der Partei „Die Rechte“ bei einem Fußballturnier in Dortmund Spieler einer israelischen U19-Fußballmannschaft, riefen Parolen wie „Juden raus aus Palästina“ und „Nie wieder Israel“ und posierten mit palästinensischen Fahnen und Reichsfahnen.
Die gehören also zu dem Teil der Neonazi-Szene, die Juden mehr hasst, als Muslime
Die Neonazi-Partei warb in der Vergangenheit auch mit dem an die Nazi-Parole „Die Juden sind unser Unglück“ angelehnten Slogan „Israel ist unser Unglück“ für sich. Brück selbst betrieb zeitweise außerdem einen Online-Versandhandel mit dem Namen „Antisem.it“.
Subtil
Der größte gemeinsame Nenner vieler Rechtsextremer und Islamisten ist die Feindschaft gegen Israel – und gegen Jüdinnen und Juden.
Obligatorisches Antizionismus =/= Antisemitismus
Doch die ideologischen Überschneidungen islamistischer und rechtsextremer Kreise gehen deutlich weiter.
Das Venn-Diagramm von Islamisten und Rechtsextremen ist ein Kreis
Es geht dabei um gemeinsame geopolitische Überzeugungen, aber auch um durchaus kompatible Autoritätsvorstellungen, konservative Familienbilder und die Ablehnung von LGBTQ-Rechten.
Und Argumentationsstrukturen (alles, was sie wollen ist entweder „gottgewollt“ Oder „naturgegeben“ und kann nicht verändert werden, Sozialisation existiert nicht), Demographische Muster (hauptsächlich junge Männer, kaum Frauen), Strategien (Einschüchterung durch körperliche Gewalt, Spontane, schlecht geplante Aktionen gegen politische Gegner, kaum Recherche, Forderungen einfach zu verstehen und oberflächlich)
Für mehr als punktuelle inhaltliche Allianzen reichen diese Übereinstimmungen trotzdem meist nicht: Dafür spielen Islamfeindlichkeit und Rassismus für die rechtsextreme Szene eine zu große Rolle.
Ich finde hier den Bogen etwas arg überspannt.
Wenn das Vereinsverbot genutzt wird, um im Grundgesetz besonders geschützte Organisationen, Religiöse Gemeinschaften und Medien ohne strafrechtliche Verfolgung, ohne Anklage und ohne Gerichtsurteil zu verbieten, dann kann und muss man das als Demokrat problematisch finden.
Das ist auch unabhängig davon, wie scheiße man Compact oder das IZH findet. Und der letzte Satz wiederspricht ja auch dem Bild, was durch die Überschrift erzeugt wird:
Das widerspricht einer "Verbrüderung", sondern zeigt, dass bei bestimmten Themen Überschneidungen gibt. Weil das Thema Israel dabei so eine prominente Rolle in dem Artikel spielt. Der damalige BDS Beschluss des Bundestages wurde von der AfD initiiert und dann fast inhaltlich identisch von allen anderen Parteien verabschiedet. Daraus lässt sich aber schlecht für 2019 eine Verbrüderung aller Parteien mit der AfD konstruieren. Das sich seitdem CDU/CSU, FW und FDP immer mehr auf Lokalebene mit der AfD zusammentun ist dagegen eher Ausdruck einer Verbrüderung.
Diese Überschneidung wird seit der Nazizeit immer wieder bestätigt und zelebriert, deswegen würde ich da zumindest von einer Zweckgemeinschaft sprechen, denn beide Gruppierungen sind - unabhängig von ihrer jeweiligen Ausprägung - im Kern faschistisch. Hier mal zwei Beispiele aus den letzten 20 Jahren:
2019: Teil der Delegation war auch Karl Richter, der für die rechtsextreme NPD-Tarnliste „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ im Münchner Stadtrat sitzt. [...] Richter gibt sich beeindruckt von der Miliz. Es wäre „der Betrachtung allemal wert, inwieweit das Erfolgsmodell der Hisbollah auch rechten Parteien in Europa zum Vorbild dienen könnte“,[...]
https://taz.de/Europaeische-Neonazis-bei-der-Hisbollah/!5582324/
2002: Der Hass auf die USA und Israel eint Islamisten und Rechte, am Ende des Treffens versprach Voigt deshalb den versammelten Muslimen: »Wenn es zur großen Auseinandersetzung kommt, werden die nationalen Deutschen nicht auf der Seite Amerikas stehen.« https://www.spiegel.de/politik/dolch-im-herzen-a-6c9d324d-0002-0001-0000-000025718128?context=issue