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Der Mord an einer Beamtin in der Kommunalverwaltung im chinesischen Nantong ist einer von zahlreichen Fällen seit dem vergangenen Sommer, bei denen aufgebrachte Chinesen Beamte und andere Provinzvertreter der Regierung getötet haben. Für viele Chinesen ist das Leben schwerer geworden seit den drakonischen Corona-Maßnahmen, dem Platzen der Immobilienblase und dem Wirtschaftsabschwung. Zudem legt die Zentralregierung den Fokus auf die Industrieproduktion und den Export, weniger auf das finanzielle Wohlergehen des Volkes. Die Inlandsnachfrage ist schwach, das Vermögen der großen Mehrheit der Haushalte schrumpft.
Das trifft insbesondere zahlreiche Provinzen der Volksrepublik, deren Verwaltungen ebenfalls sparen müssen. Eine Gemeindemitarbeiterin der Provinz Zhejiang berichtete im Oktober in einer Wochenzeitung von den Finanzschwierigkeiten der Behörden. So gebe es Vorgaben, die Zahl der Sozialhilfeempfänger zu verringern. In einem Dorf, für das sie zuständig sei, wurde etwa die Zahl der Beihilfeempfänger von dreißig auf zwanzig reduziert.
Andernorts konfiszieren Lokalverwaltungen Wohngebäude, worauf es in der Provinz Shanxi zu einem weiteren Mord an einem ranghohen Beamten kam. Im Juni wurde der Chef der örtlichen Konsultativkonferenz des Qin-Distrikts, Guo Jianyu, vor seiner eigenen Wohnung von einem Mann erstochen, dessen Wohnhaus von den Behörden abgerissen worden war. Guo war offiziell für die Abrissarbeiten in dem Bezirk zuständig. Eine Kompensation hatte der Täter nicht erhalten.
Beamte führen nur noch Befehle aus
Laut örtlichen Medien hatte es sich um ein altes, baufälliges Gebäude gehandelt, das nach dem Konkurs einer Getreidefabrik vor zwei Jahrzehnten aufgegeben worden war. Über die Jahre hatte der spätere Täter An Yaohong das alte Gebäude repariert, mehrere Tausend Euro investiert und zusätzlich zu seiner eigenen Wohnung eine Reihe weiterer Zimmer eingebaut, möbliert und anschließend vermietet. Bis die Lokalbehörden das Gebäude vor wenigen Monaten abreißen ließen, weil sie das Gelände anderweitig zu Geld machen wollten. An Yaohong konnte seinen Anspruch auf das Gebäude nicht belegen, verlor dadurch seine Wohnung und alle seine Einkünfte.
Der F.A.Z sind zehn ähnliche Fälle bekannt, über die in Lokalzeitungen und in den sozialen Medien berichtet wurde. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. „Wenn gewöhnliche Chinesen von Regierungsbeamten ungerecht behandelt wurden, hatten sie traditionell Wege, sich zu beschweren“, sagt Victor Shih, Professor für chinesische Politik an der University of California in San Diego. „Die Welle der Gewalt gegen Beamte deutet darauf hin, dass einige dieser traditionellen Wege als unwirksam gelten.“
Die Ermächtigung lokaler Parteisekretäre zulasten der Entscheidungsmöglichkeiten lokaler Beamter könnte dazu geführt haben, dass diese Kanäle immer weniger effektiv seien, fügt Shih hinzu. Die Parteisekretäre haben tendenziell übergeordnete Vorgaben zu erfüllen, deren Spielraum eng ist.
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Da ist die Richterin Wang Jiajia, die im August in Henan von einem Bürger erstochen wurde, der mit ihrem Urteil im Prozess über einen Autounfall nicht zufrieden war. Oder der Bürgermeister Kuang Haijuan in der Provinz Jiangxi, der im September umgebracht wurde, ohne dass die Behörden weitere Informationen zu dem Fall bekannt geben. Da ist der Leiter der städtischen Marktregulierungsbehörde von Zouping namens Miao, der im Juli wegen „finanzieller Streitigkeiten“ ermordet wurde.
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Xi reagiert mit einem Schlagwort
Der Führung ist die fragile Lage in Teilen der Gesellschaft offensichtlich bekannt.
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„Soziale Stabilität“ ist ein Schlagwort, mit dem die Staatsmedien den Staats- und Parteichef Xi Jinping derzeit wieder häufiger zitieren.
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Schon 2021 hatte der stellvertretende Dekan der Abteilung für öffentliche Verwaltung der einflussreichen Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen Beamten und der Öffentlichkeit stark angespannt ist. „Die Beamten an der Basis sind mit übermäßigen ‚Amtspflichten‘ belastet“, schrieb Vizedekan Zhou Shaolai, noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. „Sie sind ständig damit beschäftigt, Befehle von oben zu erfüllen.“
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Das hat Auswirkungen auf weite Teile der Bevölkerung, für die China kein soziales Sicherheitsnetz aufgebaut hat. Bis auf Weiteres fließt der große Teil der Staatsausgaben in die Industrieproduktion und den Aufbau einer „Festungswirtschaft“ zur eigenen Absicherung im Systemkonflikt gegen die USA.
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Chinesische Sozialwissenschaftler warnen vor den Folgen mittlerweile deutlich. „Die weitverbreitete Präsenz einer negativen Stimmung stellt ein latentes politisches Risiko dar“, schrieb der Sozialwissenschaftler Han Linxiu im Juli in der akademischen Fachzeitschrift „Sekretär“. In wissenschaftlichen Papieren ist der Freiraum, sich auszudrücken, größer als in den staatlichen Massenmedien. So beklagte Liu die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen.
Ein erheblicher Anteil der in Städten lebenden und arbeitenden Landbewohner habe keinen vollständigen Zugang zu hochwertiger städtischer Sozialversicherung und dem Lebensstandard, so Liu, „und innerhalb der Städte besteht eine implizite, auf wirtschaftlichen Faktoren beruhende Spaltung“. Zudem seien Chinas Sozialsysteme unzureichend, „insbesondere in ländlichen Gebieten, wo Lebensstandard und Sozialhilfe unterentwickelt sind und hinter den städtischen Standards zurückbleiben, was den Aufstieg weiter erschwert“.