this post was submitted on 14 Nov 2024
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[–] d_k_bo 37 points 1 week ago* (last edited 1 week ago) (13 children)

Ich bin sehr dafür, das Thema endlich aus der Illegalität zu holen.

1993 hat das Bundesverfassungsgericht allerdings entschieden, „dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin bestehen bleiben muss“¹. Daher bin ich gespannt, wie das mit dem Grundgesetz vereinbar umgesetzt werden soll. Möglicherweise hofft man auch darauf, dass das Gericht seine Einstellung etwas verändert hat.

¹ https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/521296/vor-30-jahren-reform-fuer-schwangerschaftsabbrueche-gekippt/#node-content-title-6

[–] Petter1@lemm.ee 6 points 1 week ago (7 children)

Ich probierte das Urteil von 1993 zu verstehen, hab aber schon im ersten Absatz aufgegeben 😂

Was ist denn die logische Begründung, dass es ein generelles Abtreibungsverbot braucht?

Ich meine was sind die logischen Argumente dafür?

[–] Kissaki 8 points 1 week ago* (last edited 1 week ago) (2 children)

Der Artikel gibt eine gute Zusammenfassung und Beschreibung der Argumentation.


Der erste Punkt I.1. des Urteils sagt: Der geänderte/neue Artikel § 218a ist nicht mit dem Grundgesetz 1.1 und 2.2.1 vereinbar. Und die Beratung ist nicht ausreichend um die Grundgesetz Paragraphen auszuhebeln..

Im Konflikt stehen Artikel 1.1 und 2.2.1 des Grundgesetzes

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. […]


Eine Urteilsbegründung ist dort, im Volksanzeiger, leider nicht direkt ersichtlich.

Über Suche der Titelnummer ", über dejure zu servat.unibe.ch, da steht unten mehr, und ich glaube es beginnt mit der Urteilsbegründung und erst danach der Interpretation und weiteren Erläuterungen und Verweisen oder ausführlicher/weiterer Urteilsbegründungstext? Jedenfalls hier die Punkte des ersten Blocks in Gänze:

  1. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Diese Schutzpflicht hat ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muß die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet.
  2. Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschliches Leben allgemein.
  3. Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes.
  4. Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein (Bestätigung von BVerfGE 39, 1 [44]). Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.
  5. Die Reichweite der Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben ist im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und damit kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen. Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kommen dabei - ausgehend vom Anspruch der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht. Dagegen kann die Frau für die mit dem Schwangerschaftsabbruch einhergehende Tötung des Ungeborenen nicht eine grundrechtlich in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition in Anspruch nehmen.
  6. Der Staat muß zur Erfüllung seiner Schutzpflicht ausreichende Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art ergreifen, die dazu führen, daß ein - unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter - angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird (Untermaßverbot). BVerfGE 88, 203 (203)BVerfGE 88, 203 (204) Dazu bedarf es eines Schutzkonzepts, das Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes miteinander verbindet.
  7. Grundrechte der Frau tragen nicht so weit, daß die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes - auch nur für eine bestimmte Zeit - generell aufgehoben wäre. Die Grundrechtspositionen der Frau führen allerdings dazu, daß es in Ausnahmelagen zulässig, in manchen dieser Fälle womöglich geboten ist, eine solche Rechtspflicht nicht aufzuerlegen. Es ist Sache des Gesetzgebers, solche Ausnahmetatbestände im einzelnen nach dem Kriterium der Unzumutbarkeit zu bestimmen. Dafür müssen Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, daß dies von der Frau nicht erwartet werden kann (Bestätigung von BVerfGE 39, 1 [48 ff.]).
  8. Das Untermaßverbot läßt es nicht zu, auf den Einsatz auch des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung für das menschliche Leben frei zu verzichten.
  9. Die staatliche Schutzpflicht umfaßt auch den Schutz vor Gefahren, die für das ungeborene menschliche Leben von Einflüssen aus dem familiären oder weiteren sozialen Umfeld der Schwangeren oder von gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissen der Frau und der Familie ausgehen und der Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken.
  10. Der Schutzauftrag verpflichtet den Staat ferner, den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben.
  11. Dem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht verwehrt, zu einem Konzept für den Schutz des ungeborenen Lebens überzugehen, das in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, und dabei auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Dritten verzichtet.
  12. Ein solches Beratungskonzept erfordert Rahmenbedingungen, die positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen. Der Staat trägt für die Durchführung des Beratungsverfahrens die volle Verantwortung.
  13. Die staatliche Schutzpflicht erfordert es, daß die im Interesse der Frau notwendige Beteiligung des Arztes zugleich Schutz für das ungeborene Leben bewirkt.
  14. Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle kommt von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in Betracht. Deshalb verbietet es sich, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen.
  15. Schwangerschaftsabbrüche, die ohne Feststellung einer Indikation nach der Beratungsregelung vorgenommen werden, dürfen nicht für ge-BVerfGE 88, 203 (204)BVerfGE 88, 203 (205)rechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden. Es entspricht unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß einem Ausnahmetatbestand rechtfertigende Wirkung nur dann zukommen kann, wenn das Vorliegen seiner Voraussetzungen unter staatlicher Verantwortung festgestellt werden muß.
  16. Das Grundgesetz läßt es nicht zu, für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, dessen Rechtmäßigkeit nicht festgestellt wird, einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren. Die Gewährung von Sozialhilfe für nicht mit Strafe bedrohte Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung in Fällen wirtschaftlicher Bedürftigkeit ist demgegenüber ebensowenig verfassungsrechtlich zu beanstanden wie die Fortzahlung des Arbeitsentgelts.
  17. Der Grundsatz der Organisationsgewalt der Länder gilt uneingeschränkt, wenn eine bundesgesetzliche Regelung lediglich eine von den Ländern zu erfüllende Staatsaufgabe vorsieht, nicht jedoch Einzelregelungen trifft, die behördlich-administrativ vollzogen werden könnten.

Die Argumentation ist also, dass der Staat eine Schutzpflicht des Lebens hat. Und zwar auch Rechte der Mutter entgegenstehen, diese die des Kindes aber nicht aushebeln.


Ich kann mir vorstellen dass das heute auch anders geurteilt würde. Einfach weil sich, zumindest in meiner Wahrnehmung oder Erwartung, die Einschätzung, ab wann es Leben ist, oder menschliches Leben ist, oder das Leben einer Person ist, auf später verschoben ist. Früher gab es die Vorstellung des heiligen Lebens, und man hatte wenig Ahnung davon wie sich das Leben konkret im Mutterleib entwickelt. Heute hat man das biologische Wissen, und sieht sogar im Ultraschall wie es sich entwickelt. Ist eine kleine Biomasse an Zellen, die alleine in keinem Fall Lebensfähig ist, bereits ein Mensch und eine Person? ("Mensch", "Jeder") Inwiefern kann man von "körperlicher Unversehrtheit" sprechen wenn sich der Körper noch entwickelt und noch nicht als solcher erkennbar ist?

In jedem Fall eine Interessante Frage. Auch in Abgrenzung der Menschenrechte und des Grundgesetzes. Menschenrechte vs Grundrechte (Mensch vs Leben und potenzieller Mensch?).

[–] bungalowtill@lemmy.dbzer0.com 2 points 1 week ago

Sehe ich auch so, man kann das GG dahingehend auch neu und anders auslegen. Let‘s do it!

[–] barsoap@lemm.ee 1 points 1 week ago* (last edited 1 week ago) (1 children)

ab wann es Leben ist, oder menschliches Leben ist

Das hat das BVerfG schon entschieden: Ab der Befruchtung haben wir einen individuellen Menschen, ab der Nidierung, der Punkt an dem die Natur selbst entscheidet ein bestimmtes Leben zur Frucht zu bringen, gibt's das Recht auf Leben. Eine befruchtete Eizelle entwickelt sich nicht zum, sondern als Mensch.

Wenn du an der Linie rumdoktorst dann fallen auch die ganzen Urteile von wegen Präimplantationsdiagnostik weg. Dann können Eltern Eizellen nach Augenfarbe aussuchen weil die Menschenwürde so früh noch nicht greift.

[–] Kissaki 1 points 1 week ago (1 children)

Ab der Befruchtung haben wir einen individuellen Menschen

Das steht im ersten Kommentar verlinkten Artikel aber anders:

Die Schwangerschaft beginnt nach dem Gesetz mit der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter, nicht etwa mit der Befruchtung selbst.


Das hat das BVerfG schon entschieden

Darüber sprechen wir ja gerade. Ich nehme an zu meinst dieses Urteil von 1993 über das wir gerade sprechen?

Kannst du mir genau sagen wo es das definiert hat? Ich hab die von mir zitierten Punkte nochmal durchgelesen und sehe da keine solche Definition. Kannst du denn bestätigen ob das die Urteilsbegründung ist oder nicht?

Die Urteilsbegründung schlussfolgert Konsequenzen des Lebens und der Grundrechte. Sie definiert nicht den Beginn des Lebens, in diesem Urteil, soweit ich das sehen kann.

[–] barsoap@lemm.ee 2 points 1 week ago (1 children)

Das steht im ersten Kommentar verlinkten Artikel aber anders:

Die Schwangerschaft beginnt nach dem Gesetz mit der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter, nicht etwa mit der Befruchtung selbst.

Ein Mensch kann schon existieren aber noch keine Mutter mit ihm schwanger sein. "Menschenwürde ab Befruchtung" ist kein Ding dass du in der Schwangerschaftsentscheidung finden wirst das steht irgendwo bei Präimplantationsdiagnostik. Da gehts darum dass es gegen die Menschenwürde verstößt wenn man aufgrund von willkürlicher Kriterien nicht an der "welche Zelle wird eingepflanzt"-Lotterie teilnehmen darf.

Beginn der Schwangerschaft ist die Nidation (wenn sich die befruchtete Eizelle einnistet) und ab da gilt das Recht auf Leben, das ist C I im BVerfGE 39, 1.

Du könntest jetzt sagen "Das Recht auf Leben beginnt erst später", das wäre mit "Menschenwürde ab Befruchtung" zumindest logisch kompatibel, "Vor der X. Woche Schwangerschaft ist das gar kein Mensch" würde damit aber brechen.

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