unterschichtblog

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MODERATOR OF
[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago (4 children)

Für mich sind die Bilder von „danach“ bis heute vollkommen surreal.

Super random, aber ich suche seit Ewigkeiten ein "vorher"-Bild von genau der Ecke. Die Nachher-Bilder die ich auch im Blog gepostet habe, bringen irgendwie nicht rüber, wie viel Glück ich hatte. Von den drei Häusern die da standen hat nur ein halbes die Nacht überstanden und zufällig waren wir gerade in der Hälfte, als der Altbau eingestürzt ist.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago (6 children)

Richtig surreal, hier von Leuten zu lesen, die das Dörfchen kennen.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago

Ich werde wohl niemals vollständig verstehen, wie Trump noch legal zum POTUS gewählt werden kann.

Dass Trump vs. Biden, Runde 2, wieder eine echte Möglichkeit ist, ist einfach so frustrierend.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago

Dailys

Als ehemaliger WoW-Spieler hat mich nichts so vernichtend getriggert wie die "kreativen" Schreibweisen dieses Wortes. Ich glaube ich war nur eine Hand voll "daylies" von der völligen Eskalation entfernt.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago

Guter Mann, der Loermann. Da sitzt jeder Satz.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago* (last edited 1 year ago)

JA BITTE. Ich hab so darunter gelitten, dass beide meine Eltern im Auto geraucht haben... Zudem war mein Vater eine absolute Pussy und konnte keinen "Zug" am Nacken ertragen, ich durfte also nichtmal mein Fenster öffnen. Pure Folter für Kinder.

Selbst 25 Jahre später bin ich noch richtig überempfindlich was Zigarettenrauch angeht.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago

Erinnert mich an Kramers Meat Slicer, mit dem er und Elaine die Katze gerettet haben.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago

Lol, leider ist der Wahrheitsgehalt deutlicher höher, als man vermuten würde.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago (7 children)

Ich will hier ja nicht der Früher-war-alles-besser-Boomer sein, aber das war früher wirklich besser.

Man kam überall mit dem Fahrrad hin und wollte auch einfach unabhängig von seinen Eltern sein.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago (3 children)

Darf man jetzt langsam Angst vor einem Atomkrieg haben, ohne dafür müde belächelt zu werden?

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago (1 children)

undefined> Schlagt doch mal nen paar gute Disziplin vor!

Brood War. Die Königsdisziplin des E-Sports.

[–] unterschichtblog@feddit.de 0 points 1 year ago

Vielen Dank! Freut mich richtig, dass hier auch potenzielle Leser rumhängen.

 

Kennt ihr diese Jobs, die nur existieren, um irgendeine alberne gesetzliche Anforderung zu erfüllen?

So eine Stelle hatte ich 2013-2014. Ein typischer Arbeitstag sah etwa so aus:

Abends ruft mich die Dispatcherin an, "kannst du morgen nach Nürnberg fahren?"

Okay, sag ich, und bete, dass es kein Druckerumzug ist. "Ist ein Druckerumzug, bitte den Kollegen in Karlsruhe abholen."

Also gehe ich am nächsten Morgen zu Sixt, Mietwagen steht bereit, ab jetzt "verdiene" ich Geld.

Fahre also nach Karlsruhe. Da hole ich den Kollegen ab, ein Kettenraucher Namens Sergejy oder Ivgeniy Prktologowyzc.

Zusammen fahren wir dann von Karlsruhe nach Nürnberg zu einer Liegenschaft der Bundeswehr. Die haben einen IT-Dienstleister, damals die BWI, heute keine Ahnung, die wiederum einen Logistiker haben, der wiederum einen Personaldienstleister hat.

Für die letzte Firma in der Kette (die auf "Consulting" endet, falls hier ein früherer Kollege mitliest) arbeitete ich, und verdiente 8,25 € die Stunde. Verkauft wurde ich als "IT Systemtechniker" oder was auch immer, für 39 € die Stunde. Die Verträge waren auf Tagesbasis, also für jeden Auftrag musste ich einen neuen Vertrag unterschreiben.

Ein guter Tag lief so: zu Sixt radeln, manchmal zu Enterprise, Auto mieten, von HD nach Koblenz oder Bonn, einmal sogar nach Hamburg, in einer Liegenschaft Maus und Tastatur oder ein HDMI-Kabel austauschen, und wieder fünf Stunden nach Hause fahren. Da schätzt man sein Tageswerk: den Steuerzahler 250+ € kosten, dabei selbst kaum Kohle kriegen, und effektiv vielleicht zehn Minuten arbeiten.

Dieser Tag war einer der nicht so guten. Druckerumzüge durften wir nicht allein machen, und wo soll man in einer Kaserne auch schon jemanden zum Anpacken finden, also durften wir zu zweit durch die Republik fahren, einen Netzwerkdrucker abbauen (Ethernet- und Stromkabel ziehen), irgendwo anders wieder aufbauen (Ethernet- und Stromkabel einstecken). Im schlimmsten Fall drei Räume weiter auf demselben Flur. Hab ich erwähnt, dass die Teile Rollen haben?

Egal, also ich fahre mit irgendeinem Alkoholiker und Kettenraucher, der keinen Führerschein mehr hat, nach Bayern. Ständig schreit er rum, weil jemand auf der Autobahn nicht schnell genug, oder zu schnell fährt, raucht eine Kippe nach der anderen, ignoriert, wenn ich ihm sage er soll das lassen, schlägt plötzlich aufs Amaturenbrett, weil er wohl auf dem Handy was sieht, was ihm nicht passt.

Vielleicht nicht ganz zufällig, war das die Zeit, zu der ich anfing, jede Ausgabe in Arbeitsstunden umzurechnen. Warmmiete? 42 Stunden. Wocheneinkauf? Fünf Stunden. Der Unterschied zwischen Raststättenkaffee und selbstgekochtem Instant? Acht Minuten Autofahrt neben Krawczyk, dem kettenrauchenden Choleriker.

Wir kommen an, Druckerumzug dauert 15 Minuten, runden wir auf eine Stunde auf. Macht den Kohl auch nicht mehr fett, mittlerweile wurden bestimmt schon 10 Arbeitsstunden berechnet. Sorry, Steuerzahler.

Dispatch ruft an: "Wo ihr schonmal in Bayern seid, könnt ihr morgen nach Stetten fahren? Da ist ein Rollout, die brauchen noch Leute."

Also gut, auf gen Stetten, übrigens in BaWü, nicht in Bayern, aber weil der Tag fast vorbei ist, fahren wir erstmal in Augsburgs widerlichstes Hostel, wo für uns zwei Betten in einem Viiiielbettzimmer gebucht wurden. Das macht übrigens der Logistiker, nicht der Personaler, und vermietet die Plätze dann an den Personaler weiter. Sicher nicht ohne deftigen Aufschlag.

Aber egal, ich denke an die üppigen Stunden am nächsten Tag, an die 15 € Verpflegungsgeld, die bei jeder Übernachtung fällig werden. Mentale Buchführung: fünf Stunden noch, bis ich die Miete für nächsten Monat zahlen kann. Dann nochmal zwölf für die Verpflegung, und nochmal zwei oder drei für ein schönes Date mit der dickbusigen Svenja.

Rechnet noch jemand mit, wie viel der Ausflug den Steuerzahler bisher kostet?

Nächster Morgen, Mojciech hatte wohl eine schlechte Nacht, flippt beim Fahren mehrfach völlig aus. Wirft irgendwann wütend sein Handy auf die Rückbank. Ich fahre ihm nicht schnell genug, er ist zu dumm zu verstehen dass wir für die Fahrzeit genauso bezahlt werden wie für den Rollout, also greift er irgendwann ins Lenkrad, um mich auf die linke Spur zu bugsieren.

So nicht du Spacko, denk ich mir und fahre die nächste Raststätte an. "Du trinkst jetzt erstmal nen Kaffee, bist ja kaum auszuhalten", sag ich zu ihm. Polatzki steigt aus um sich einen Kaffee zu holen, lässt das Handy im Wagen. Er geht rein, ich fahre weiter, zurück auf die Autobahn, und dort auf den nächsten Parkplatz.

Ja hallo Dispatch, ich warte jetzt seit über 'ner Stunde auf den Kollegen. Der wollte kurz zum Lidl um sich Schnapps zu holen. Jetzt ist er verschwunden. Ne ich erreiche ihn nicht. Ja der geht nicht ans Handy. Ja seit 'ner Stunde schon, ich muss jetzt echt zum Rollout.

"Ja dann fahr schonmal los, wir versuchen ihn zu erreichen." Viel Glück, denk ich mir, und werfe sein Nokia in einen Raststättenmülleimer.

Beim Rollout bauen wir dann PCs auf, legen Kabel, schließen Telefone an etc. Mal zu dritt, mal zu zehnt, mal dauerts zwei Tage, mal 'ne Woche. Immer gemütlich, denn jeder braucht die Stunden, und von oben kommt kein Druck, weil unser Boss, und sein Boss, und sein Boss, an jeder Stunde gut verdienen.

Wem das Geld nicht reichte, der durfte entweder hoffen, zufällig an dem Tag "Teamleiter" zu sein und 50 Cent pro Stunde mehr zu verdienen (besonders geil bei Aufträgen zu zweit, bei denen dann der Geringverdiener den anderen automatisch hasste).

Oder er machte es wie die älteren Kollegen und holt sich die Festplatten und Arbeitsspeicher aus den zu entsorgenden Alt-PCs. Gerade bei den HDDs aus Bundeswehrrechnern natürlich eine tolle Idee...

Der ganze Job existierte nur, weil die Soldaten nicht ihre eigene Hardware austauschen durften, nichtmal Peripherie, irgendwas mit Versicherung.

Egal, am Ende zahlt es eh der Steuerzahler. Also ihr. Und ich brauchte die Schichten. Danke auch.

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Der sinnlose Computerkurs des Jobcenters (unterschichtblog.blogspot.com)
submitted 1 year ago* (last edited 1 year ago) by unterschichtblog@feddit.de to c/dach@feddit.de
 

Ein Sommer, etwa 2009. Nach zwei kurzfristigen Beschäftigungen beziehe ich wieder Hartz 4 und bin abhängig vom Jobcenter.

"Ach Mensch, Sie sind ja noch jung, machen Sie doch einen Computerkurs!", sagt die überdurchschnittlich bemühte Jobcenter-Mitarbeiterin zu mir.

Ich freue mich über die Gelegenheit, frage mich aber, ob es wirklich in ganz Köln kein ähnliches Kursangebot gibt, und so fahre ich - bezahlt vom Jobcenter - 40 km pro Strecke Zug.

Die Erwartungen wurden klar an mich kommuniziert: sechs Wochen, acht Stunden am Tag, maximal ein Fehltag, am Ende gibt es eine Prüfung. Bei Bestehen gibt es ein Zertifikat. Dieses, so meine Bearbeiterin, könne mir helfen, eine Berufsausbildung zu finden. Spoiler: konnte es nicht.

So sitze ich frohen Mutes im Zug, trotz der infernalischen Hitze und studiere den Stundenplan: Die erste Woche befasst sich mit Word. Okay. Woche zwei betrifft Excel. Das könnte interessant werden. Dritte Woche: Computer. Okay, was auch immer das heißt. Und so weiter.

Vor der Bildungseinrichtung, die an einer vielbefahrenen Kreuzung in Bahnhofsnähe liegt, pellt sich ein Ungetüm aus Fleisch aus einem winzigen Peugeot 106. Der Mann, zwei Meter groß und mindestens zweihundert Kilo, müht sich keuchend aus seinem Auto und ist Sekunden später von dicken Zuckerwattewolken aus seinem Vaporizer umgeben. Ich nicke ihm zu, während ich an ihm vorbei die Schule betrete. Der Klassenraum ist auf einem kleinen Lageplan, den mir das Jobcenter mitgegeben hat, eingezeichnet.

Ich setze mich in die zweite Reihe, da sitze ich am liebsten. Der Fleischkoloss von vor der Tür kommt in die Klasse und setzt sich direkt vor mich. Sein Maurerausschnitt ist so lang wie mein Unterarm und sein Gestank unerträglich.

Der Dozent kommt rein, stellt sich vor, wir starten eine Vorstellungsrunde. Ich lerne, dass der Zuckerwattewolkenmann Ronny heißt und den Kurs zum dritten Mal besucht. Er hat sechs Kinder und beim den ersten Versuch war eines krank, beim zweiten hat er die Prüfung nicht geschafft. Der Rest der Klasse ist wie ich: orientierungslose Mittzwanziger am Rande der Gesellschaft, die wider jeder Vernunft etwas Hoffnung in der Maßnahme sehen.

Der Dozent macht uns Mut, sagt er habe den Kurs selbst mal absolviert, also wisse man ja nie. Dass er einen BA in Wirtschaftsinformatik hat und den Kurs mitgestaltet hat, verschweigt er erstmal.

Wir versuchen, auf den uralten ThinkPads dem Unterricht zu folgen, aber die Bildschirme sind nicht hell genug und es ist schwierig, irgendwas zu erkennen. Dennoch kennen wir nach einer Woche so etwa die Basics von Word.

Die nächste Woche, der Dozent ist krank. Spontan ziehen wir das Modul "Computer" vor. Der Vertretungslehrer muss seine Aufmerksamkeit zwischen drei Klassen aufteilen, kommt rein, gibt uns den Stundenplan für die Woche. Dieser bringt mich noch heute zum Lachen:

  1. Montag - Betriebssysteme
  2. Dienstag - Computerhardware und Elektrotechnik
  3. Mittwoch - vernetzte IT-Systeme (LAN, WLAN)
  4. Donnerstag - Programmierung in Java
  5. Freitag - Wiederholung und Modulprüfung

Na gut, das wird ja eine interessante Woche. "Die Laptops braucht ihr diese Woche nicht", sagt er. Wir bekommen einen kurzen Text zu Betriebssystemen. In zwei Absätzen wird erklärt, was Windows und was OSX ist. Ronny dreht sich um und erklärt uns, dass wir den zweiten Absatz ignorieren können, denn in der Prüfung kommt nur Windows dran.

Recht hat er, in der Prüfung wird es nur eine Frage zu Betriebssystemen geben: "Welches ist ein Betriebssystem? Windows, Word, HTML, oder WLAN?"

Die restlichen Tage gehen wir mit ähnlicher Tiefe an. Kurze Texte, die mit maximal zwei Fragen in der "Modulprüfung" abgefragt werden. Fast acht Stunden Langeweile am Tag, der Dozent weit und breit nicht zu sehen. Die anderen Teilnehmer sind klüger als ich, tragen sich morgens in die Liste ein und hauen nach Ausgabe der Texte ab. Ronny und ich sind bemüht und bleiben. Ich komme mir wie ein Vollidiot vor.

Freitags kommt die Prüfung (90 Minuten für 10 Multiple Choice Fragen). Ohne Aufsicht. Kurz vor Feierabend, der Lehrer kommt kurz rein, teilt uns das Ergebnis mit. Alle haben bestanden, niemand freut sich.

Die Lernmittel sind unter aller Sau. Es gibt nur 40 Laptops für 3x20 Schüler, weil man eben mit hoher Abwesenheit rechnet. Hilft aber in der erste Woche nicht, wenn die Anwesenheit noch gut ist. Die Unterrichtsräume sind eine reine Zumutung, viel zu eng besetzt, nie im Leben konform mit Brandschutz. Unser Klassenraum ist direkt neben der einzigen Toilette, und so dürfen wir, 2-3 mal täglich, Ronny zuhören, der laut stöhnend schmerzhafte Arschentbindungen durchleben muss.

Die nächste Woche. Excel. Oder Powerpoint, keine Ahnung mehr. Nur noch zwei Drittel der Klasse sind erschienen, ich freue mich, denn so ist die Luft nicht mehr ganz so stickig und nicht mehr ganz so voll mit Scheißepartikeln, Deo und Zigarettengestank. Der Dozent der ersten Woche ist wieder da, aber auch er muss seine Zeit zwischen drei Gruppen aufteilen. Wenigstens gehen die Office-Kurse etwas in die Tiefe, und wenigstens haben wir für diese Laptops. Yay.

Ronny hat sich mittlerweile den Spitznamen "der Professor" verdient. Der Einäugige unter den Blinden. Während der Rest mit Summenformeln überfordert ist, unterhält er sich mit dem Dozenten über Pivot Tabellen und VBA. Wenn wir dumme Fragen stellen, erklärt er uns das Zeug geduldig. Mir wird klar, dass ich ihn den Kerl zu sehr verurteile und ich überlege, wie mein Leben wohl aussähe, wenn ich mich auch um sechs Kinder kümmern müsste.

Nach sechs Wochen gibt es eine Abschlussprüfung. Etwas Office, ein paar Fragen zu Mäusen und Tastaturen und 1:1 dieselben Fragen aus der "Computer"-Woche. Die Auswertung dauert etwa eine Woche, dann bekommen wir das Zertifikat.

Zum letzten Mal sitze ich im Zug nach Hause und reflektiere. Wieder sechs Wochen verschwendet, denke ich mir. Kein echter Erfahrungsgewinn, den Steuerzahler wieder um hunderte Euros beraubt, und auch das Zertifikat, das mir "Fortgeschrittene Kenntnisse in IT, Programmierung und MS Office" bescheinigt, wird bei Bewerbungen so nutzlos sein, wie ich mich fühle.

 

Laut DE-Mod soll ich das hier posten


Die Stellenanzeige sprach mich direkt an:

“Keine Kenntnisse oder handwerkliches Geschick benötigt, etwas Deutsch wäre gut.”

Bewerbung lief übers Telefon und war auch keine große Hürde, können Sie sechs Stunden am Stück stehen, bissl mit anpacken? Ja okay, welche Größe brauchen Sie? Na gut, wir sind hier per du, komm mal am Samstag um halb sieben vorbei.

Und so gehe ich zur Baustoffe Gernhardt Reinholz GmbH, bezahltes Probearbeiten, 8,13 € die Stunde, quasi nichts und dennoch mein höchster Verdienst in den letzten zwei Jahren. Um mich herum, Polen, Studenten, Lagerhelfer. Jeder raucht, manch einer, so vermute ich, hat Schnaps in der Kaffeekanne. Der einzig ausgebildete Lagerist, Udo, gibt den Ton an.

Es gibt nur eine Regel, sagt er, und erklärt uns zwei Regeln: Wenn ich auf dem Bock sitze, will ich Ruhe im Puff. Und wenn ich Frauen hier hab, sagt denen nix von anderen Frauen. Als einziger grinse ich dämlich, denke er macht Witze. Aber er, Mittvierziger mit halb leerer Kauleiste, guckt mich nur ernst an. Später sagt einer der polnischen Kollegen zu mir: “Man glaubt es nicht, aber was der Typ wegnagelt ist unglaublich. Jede Woche ‘ne neue Perle.”

Der Job war voll in Ordnung. Wir mussten LKWs und Sprinter ein- und ausräumen, viel mit Sack- und Schubkarren bewegen, und wenn es richtig schwer wurde, kam Udo auf seinem Bock. Wenn er nicht gerade Paletten oder Frauen aufgabelte, machte er die Schichtpläne, und weil er ein guter Kollege war, und der Rest von uns arme Schlucker, waren die Schichten immer überbesetzt. So saßen immer ein Drittel der Arbeiter irgendwo rum und unterhielten sich, häufig über Udos letzte Eroberungen. Was diese anging schien er nicht wählerisch zu sein. Ständig kamen ihn neue Frauen besuchen.

Teilweise fitte Studentinnen die halb so alt waren wie er, teilweise gewaltige Buttergolems die nach dreißig Jahren Hartz 4 aussahen. Teilweise brachten sie ihm Mittagessen oder Kuchen, und für jede Frau die ihm in seinem Büro besucht erzählte er uns von drei anderen, die er in seiner Freizeit traf. Einmal berichtete er von einem Wochenende, an dem er Samstags “eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern in drei verschiedenen Brauntönen” traf und Sonntags noch zu einer Prostituierten ging; der Hunger des Flurförderfickers war unstillbar.

Während ich Schrauben sortierte oder Paletten belud dachte ich über den Erfolg des mysteriösen Mösenmörders nach. Was macht ihn, einen dicken Dauerraucher, die besten Jahre längst hinter sich, kaum noch Haare und nicht sonderlich groß, für die Damenwelt so anziehend? Irgendwann endete auch der Job, mein Vertrag wurde nicht verlängert, denn sonst hätte man mir 9 € zahlen müssen, also verließ ich das Lager schweren Herzens.

Gut zehn Jahre später und Udo längst vergessen endet für mich eine erfolglose Tinder-Beziehung. Woran hattet jelegen, frag ich, und die Frau erklärt mir, dass mein langweiliger Bürojob ihr immer ein Dorn im Auge gewesen sei. Ihr letzter Freund, Tierarztstudent, ihr neuer Freund, Staplerfahrer. Ein echter Männerjob eben, harte körperliche Arbeit, handwerkliches Geschick und gutes Gehalt, sagt sie. Ich will ihr in allen Punkten widersprechen, bin verwirrt und komme zu dem Schluss, dass man als Mann im Berufsleben eine Wahl zu treffen hat:

Mach den Staplerschein, oder sei für immer Mann zweiter Klasse, und blicke neidvoll von unten hinauf, auf das Pantheon der Flurförderfahrzeugführer, auf die Götter auf dem Bock.

 

Hier kann man einfach labern, vielleicht verirrt sich ja jemand hierher. Auf bald!

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