this post was submitted on 27 Nov 2024
9 points (90.9% liked)

Nahost

87 readers
8 users here now

Nahost

Olivenbaum nahe Aleppo

Nachrichten, Kultur und hoffentlich kulinarisches mit Bezug zum "nahen Osten". Aufgrund des sehr groben Verständnisses in Deutschland schließt das alles von Marokko im Westen bis Afghanistan im Osten ein. Themen der Diasporas, sowie die Beziehung zu anderen Ländern in der Welt sind ebenso willkommen. Bei Posts bitte möglichst deutsche Quellen nutzen und bei Bedarf englische mit verlinken.

Regeln

Bei Verstößen gibt es temporäre Auszeiten in schweren oder wiederhohlten Fällen permanent.

*Der ICC und ICJ haben unter anderem zu folgenden Themen bereits eine Rechtsauffassung vertreten. Diskussionen darum werden gelöscht, Aussagen die grundsätzlich der Auffassung der Gerichte widersprechen als Desinformation gewertet:

https://news.un.org/en/story/2024/05/1149966
https://www.icj-cij.org/case/186
https://icj-cij.org/case/192

founded 5 months ago
MODERATORS
 

Während im Libanon ein Waffenstillstand zwischen der Terrormiliz Hisbollah und Israel verkündet wurde, läuft im Norden des Gazastreifens die im Oktober erneut begonnene Offensive der israelischen Armee (IDF) weiter.

Nach eigenen Angaben der IDF sind Kämpfer und Stellungen der Terrorgruppe Hamas Ziel ihrer Angriffe.

Sollten die Stellungen nicht langsam mal alle zerstört sein?

Klar ist aber auch, dass die humanitäre Lage in und zwischen den Orten Beit Lahia, Dschabalia und Beit Hanun sich seitdem stetig verschlechtert. Internationale Experten schlagen Alarm und warnen vor einer akuten Hungersnot.

Ergänzung: Aktuell leidet laut UNICEF fast die gesamte Bevölkerung Gazas an akutem Hunger und jedes fünfte Kind ist so unterernährt, dass Lebensgefahr besteht.

Täglich gibt es durchschnittlich 2 registrierte Angriffe auf Schulen. Die Schulen sind zwar nicht mehr in Betrieb, dienen aber als Zufluchtsort für Familien und Kinder. Es sind etwa 95% der Schulen in Gaza beschädigt oder zerstört.

https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/gaza-norden-drohende-hungersnot/350376

Dass die Lage katastrophal ist, bestätigen Bewohner, mit denen DIE ZEIT seit Monaten in Kontakt steht. Mahmud Almadhoun, der seit über einem Jahr eine Suppenküche in Beit Lahia betreibt, berichtet, dass keinerlei Hilfsgüter die Gegend erreichten.

Die Preise für Lebensmittel und andere wichtige Güter seien stark angestiegen. Er könne nur noch helfen, weil er und seine Mitstreiter nach wie vor Spendengelder bekommen, die sein Bruder Hani in den USA sammelt.

Im Frühjahr dieses Jahres war die Lage schon einmal ähnlich verzweifelt gewesen. Damals hatte DIE ZEIT in einem Dossier auch über die Suppenküche berichtet, die von den beiden Brüdern und anderen Freiwilligen hochgezogen wurde, und die damals an die 500 Familien täglich mit Essen versorgte.

Mehrere Hilfsorganisationen machten damals die prekäre Sicherheitslage und die strengen Kontrollen der zuständigen israelischen Behörde Cogat dafür verantwortlich, dass zu wenig Hilfe in den Gazastreifen gelangt.

Mittlerweile, schreiben diese Organisationen auf Anfrage, sei das Nadelöhr noch enger geworden. Anfang Oktober habe die israelische Behörde kommerzielle Lieferungen gestoppt, die Zahl der durchgelassenen Lastwagen sank auf den niedrigsten Stand seit Kriegsbeginn.

Die Behörde lasse nach wie vor viele Güter nicht durch, etwa Holz für Zelte. Die Straßen in Gaza seien zudem zerbombt, die Logistik komplex und lebensgefährlich, es gebe Plünderungen, Beschuss und weder genug Lastwagen noch Fahrer.

Die israelische Behörde Cogat weist Vorwürfe, die Lieferungen zu verzögern, allerdings als "unbegründet und falsch" zurück. Schuld an der Not seien vielmehr die Vereinten Nationen (UN), die die Hilfe koordinieren.

Da gebe es "erhebliche Ineffizienz". Derzeit würden 730 Hilfslastwagen auf palästinensischer Seite auf Abholung warten, schreibt ein Sprecher. Israel setze beträchtliche Mittel ein, um humanitäre Hilfe zu leisten.

Arte war am Grenzübergang zwischen Ägypten und Gaza

https://www.arte.tv/de/videos/123467-000-A/aegypten-hilfslieferungen-blockiert/

Kurzfassung: Israel blockiert Hilfslieferungen, Helfer haben Angst Israel zu kritisieren, weil Israel dann eventuell noch weniger Hilfe durchlassen würde

DIE ZEIT hatte im Mai auch über den Kinderarzt Hussam Abu Safiya berichtet, den Direktor des Kamal-Adwan-Krankenhauses und Leiter der pädiatrischen Abteilung. Im April sagte Abu Safiya der ZEIT, dass bereits 26 Kinder infolge von Dehydrierung und Mangelernährung gestorben seien. Es fehle an Medikamenten, um die Patienten zu versorgen, sagte er damals.

Nun ist es Hussam Abu Safiya selbst, der Hilfe braucht: "Ich werde vermutlich einen Gefäßchirurgen benötigen, aber unglücklicherweise ist es so, dass wir nun selbst um das bitten, was wir für unsere Patienten erbeten haben", sagt er in einem Video-Interview.

Das Interview hat Mahmoud Almadhoun aufgenommen und der ZEIT zugesandt. Almadhoun sagt, dass er seit einigen Wochen auch die Angestellten des Krankenhauses mit Essen versorge und deswegen oft vor Ort sei.

Abu Safiya benötigt Hilfe, weil er vor einigen Tagen bei einem Angriff der israelischen Armee verwundet wurde. "Ich melde mich aus dem Inneren der Intensivstation", sagt der Arzt in dem Video-Interview, auf einem Krankenhausbett liegend.

"Es gab eine Entwicklung in meinem Zustand, eine schwere Blutung, die an diesem Morgen begann, und die von meiner Verletzung herrührt."

Was genau vorgefallen ist, lässt sich nicht unabhängig verifizieren. Aber Statements der israelischen Armee, Berichte internationaler Medien und Hilfsorganisationen sowie Social-Media-Posts von Abu Safiya bieten Anhaltspunkte, um nachzuzeichnen, wie sich die Situation im Kamal-Adwan-Krankenhaus im Verlauf der vergangenen Wochen entwickelt hat.

Bereits am 8. Oktober filmte Abu Safiya sich selbst im dunklen Kittel an einem Tisch und erklärte, die israelische Armee habe ihn zur Räumung des Kamal-Adwan-Krankenhauses innerhalb von 24 Stunden aufgefordert.

Kinder, Verwundete, medizinisches Personal, alle sollten demnach das Gebäude verlassen. Aber Abu Safiya weigerte sich, zur Evakuierung aufzurufen. "Wir haben Babys und Neugeborene auf der Intensivstation", sagte er einen Tag später auch dem katarischen Satellitensender Al Jazeera.

Das Kamal-Adwan-Krankenhaus sei das einzige, in dem noch Kinder behandelt würden. Er könne das Krankenhaus nicht räumen.

Zu diesem Zeitpunkt wurden laut WHO etwa 200 Patientinnen und Patienten dort behandelt, hunderte Binnenflüchtlinge lebten auf den Fluren.

Einige Tage später evakuierte die UN zwar doch viele der Verwundeten. Aber die Intensivstation habe sich danach wieder schnell gefüllt, schrieb Abu Safiya auf Instagram.

Ende Oktober erreichte die israelische Armee bei ihrem Vormarsch im Norden des Gazastreifens das Krankenhaus. Auf einem Video, das Abu Safiya am 24. Oktober hochlud, waren Szenen der Panik zu sehen.

https://www.instagram.com/p/DBhWvsVo_rA/

Man sah Abu Safiya aufgeregt telefonieren: "Statt Hilfe wurden uns Panzer geschickt!", rief er ins Handy, im Hintergrund piepsten Geräte. Das Krankenhaus werde bombardiert, sagte er.

Die Kamera schwenkte durch den Raum, zeigte einen Mann mit Kopfverband, der sich in Blut wand. Aufnahmen, die der britische Sender Channel 4 am selben Tag veröffentlichte, zeigten einen israelischen Panzer vor dem Krankenhaus und Rauch im Hof.

Einen Tag später, am 25. Oktober, stürmten bewaffnete Soldaten das Krankenhaus. Auf Nachfrage schrieb ein Armee-Sprecher, "präzise Geheimdienstinformationen" hätten ergeben, dass damals Terroristen in der Nähe gewesen seien.

Im Krankenhaus habe man dann Dutzende Terroristen verhaftet, "wobei sich einige sogar als Krankenhauspersonal ausgaben".

Ey, das ist doch einfach nur noch lächerlich. Warum sollten sich Hamas-Kämpfer als medizinisches Personal verkleiden? Welchen Nutzen hat das? Wenn die sich verstecken wollen, können sie einfach ihre Waffen weglegen und sehen wie Zivilisten aus. Und in einem Krankenhaus ist es jetzt auch nicht viel sicherer als irgendwo sonst

Fotos zeigen Männer mit nacktem Oberkörper, die auf Sandboden gefesselt vor einem Panzer knien. In einem Verhör-Video, das die israelische Armee veröffentlichte, sprach ein angeblicher Krankenwagen-Fahrer anonymisiert davon, im Krankenhaus gebe es Hamas-Leute: "in den Höfen, an den Toren der Gebäude, in den Büros".

Es gebe keine aktiven Hamas-Kämpfer in dem Krankenhaus, erklärte dagegen Abu Safiya einem israelischen Medium. Allerdings frage man die Verletzten auch nicht nach ihrer politischen Zugehörigkeit: "Das ist absolut unzumutbar."

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO steht in jedem Fall fest, dass bei der Razzia auch Gesundheitspersonal verwundet wurde.

Ja, aber die sind ja alle Hamas

Drei medizinische Angestellte seien dabei verletzt worden, gab die WHO an, 44 seien festgenommen worden.

Alles Hamas. Israel würde niemals Unschuldige bestrafen

https://www.hrw.org/de/news/2024/08/26/israel-foltert-medizinisches-personal

Am 26. Oktober lud Abu Safiya ein weiteres Video auf Instagram hoch. Es zeigte ihn beim Totengebet: vor ihm, unter einem Leichentuch, sein Sohn, ein Teenager, der in der Gegend um das Krankenhaus beim israelischen Vormarsch gegen Terroristen getötet wurde.

„israelischen Vormarsch gegen Terroristen“. Alter, wie kann man einen Artikel schreiben, der bis zu diesem Punkt einfach nur sagt „alles was Israel sagt wird von jeder unabhängigen Stelle bezweifelt“ und dann das Framing der IDF übernehmen.

Die IDF hat gesagt das Krankenhaus sei unter Beschuss geraten, weil sich in der Nähe/im Krankenhaus Terroristen aufgehalten hätten. Woher wissen wir, ob mit „Terroristen“ nicht der Sohn gemeint war. Israel legitimiert das töten von minderjährigen ja schon länger damit, dass die angeblich Teil der Hamas waren

Zu den Hintergründen dieses Falls möchte sich ein Armee-Sprecher gegenüber der ZEIT nicht äußern. Inwiefern der Sohn in Kämpfe verwickelt gewesen sein soll, bleibt unklar.

Also: Es gibt keinen Beweis, dass der Sohn bewaffnet war, er hatte keine bekannten Verbindungen zu irgendwelchen bewaffneten Gruppen oder der Hamas. Er war soweit wir wissen einfach in der Nähe des Arbeitsplatzes seines Vaters. Nichtmal die IDF hat behauptet, dass er Teil der Hamas gewesen wäre. Die ZEIT stellt die Option trotzdem einfach mal in den Raum.

In den darauffolgenden Tagen postete Abu Safiya mehrere Hilferufe auf Instagram. Nur noch zwei Ärzte seien im Krankenhaus, berichtete er.

Es komme kein Essen an, keine Medizin. Mehrfach lud er Videos von Granateneinschlägen im Krankenhaus hoch.

Anfang November wurde einer seiner wenigen verbliebenen Kollegen, ein freiwilliger Helfer aus Indonesien, mitsamt seiner Familie von der israelischen Armee getötet. Abu Safiya arbeitete weiter.

Am 24. November, dem vergangenen Sonntag, traf es dann Abu Safiya selbst. Medienberichten zufolge war es eine israelische Drohne, die ihn im Inneren des Krankenhauses beschoss und an Oberschenkel und Rücken verwundete.

Kriegsverbrechen Nr. 978540437

Warum sie ins Krankenhaus flog und auf Abu Safiya schoss, erklärt ein Armee-Sprecher auf Nachfrage nicht. Meldungen über ungewöhnliche Vorfälle während militärischer Operationen würden aber an ein unabhängiges Expertengremium weitergeleitet, versichert er per Mail.

In dem aktuellen Video-Interview, das der ZEIT vorliegt, sagt Abu Safiya, das Krankenhaus sei nun schon sieben Tage in Folge unter Beschuss geraten.

„Unter Beschuss geraten“ impliziert, dass es möglich ist, ein Gebäude 7 Tage lang aus Versehen zu beschießen

Die Rezeption, der Eingang zur Notaufnahme, der Hof und ein Arztzimmer seien getroffen worden. 18 Mitglieder des medizinischen Personals seien verletzt worden.

"Ich rufe die WHO dazu auf, dringend und sofort zu intervenieren", sagt der Kinderarzt. "Wir haben schon früher chirurgische Teams von außen angefordert, wir brauchen sie immer noch."

Mahmud Almadhoun, der das Video aufgenommen hat, sagte der ZEIT, er helfe aktuell bei der Versorgung von rund 270 Menschen, die sich noch in dem Krankenhaus befänden. Neben Essen besorge er auch Kleidung und alles Weitere, was benötigt werde und er auftreiben könne.

In dem Artikel, den die ZEIT im Mai veröffentlichte, ging es auch um den damals fünf Jahre alten Naim al-Najjar, der von seinen Eltern ins Kamal-Adwan-Krankenhaus gebracht wurde, weil er Zeichen von Unterernährung zeigte und sie keine Mittel hatten, ihn zu versorgen.

Naim starb, wie DIE ZEIT rekonstruieren konnte, am 28. März 2024, "infolge von Mangelernährung", wie es im Arztbrief hieß.

Auch mit der Familie al-Najjar haben die Reporter versucht, Kontakt zu halten. Ende Oktober berichtete Nadschwa al-Najjar, Naims Mutter, dass sie sich nach wie vor in einer Flüchtlingsunterkunft in einer Schule in Dschabalia aufhalten würden.

Wegen der Bombardements trauten sie sich praktisch nicht, das Gebäude zu verlassen. Im Oktober sei ihr ältester Sohn bei einem Angriff am Bein verletzt worden. Zu essen hätte sie im Grunde nur Brot und Linsen. "Viele Menschen fliehen, aber wir haben kein Geld, wo sollen wir hin? Was auch immer Gott will, wird geschehen. Es ist derselbe Tod, im Norden wie im Süden."

Seither ist es nicht mehr gelungen, die Najjars zu erreichen.

no comments (yet)
sorted by: hot top controversial new old
there doesn't seem to be anything here