Hartnäckig hält sich die Behauptung, die Anschlagsserie in NRW habe mit der Cannabislegalisierung zu tun. Das lenkt von der größeren Dimension der Taten ab.
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Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich bei der Suche nach den Gründen für die Eskalation schnell festgelegt. Schuld sei die Teillegalisierung von Cannabis, deutete er an. Man müsse ja nur mal über die Grenze in die Niederlande blicken, dem "Vorreiterland im Sinne von Bagatellisierung und Legalisierung von Rauschgiften", sagte Reul im Juli. In kaum einem europäischen Land gehe es so gewalttätig und mafiös zu wie dort.
Belege oder belastbare Zahlen für seine Legalisierungsbehauptung lieferte er indes bis heute nicht. Dazu muss man wissen, dass Reul ohnehin kein großer Fan der Legalisierung ist. Trotzdem wird seine Erzählung seither von verschiedenen regionalen und überregionalen Medien ungeprüft weitergetragen. Die Argumentation: Durch die Freigabe von Cannabis sei der Bedarf gestiegen. Um die Nachfrage zu decken, fluten kriminelle Banden nun den deutschen Markt mit Marihuana und geraten dabei im Kampf um Marktanteile aneinander. Die angeblich logische Folge: ein flächendeckender Drogenkrieg.
Doch bislang gibt es keinerlei Erhebungen, die beweisen würden, dass seit der Legalisierung am 1. April dieses Jahres größere Mengen nach Deutschland eingeführt werden und deshalb niederländische Mafiaorganisationen außer Rand und Band geraten. Im Gegenteil: Auf Anfrage von ZEIT ONLINE bestätigt das Bundeskriminalamt, was die Behörde schon im Juli mitteilte: "Ein Zusammenhang der Aktivitäten niederländischer Banden und der Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist bis dato nicht feststellbar."
Das BKA rechnet sogar damit, dass der illegale Handel mit Cannabis abnehmen wird, sobald sich die sogenannten Cannabisclubs etabliert haben und die Abgabe der Droge an die Mitglieder startet. Diese Clubs gehören neben der Erlaubnis zu begrenztem Privatanbau auf dem eigenen Balkon zur Legalisierungsstrategie. Und genau hier liegt der entscheidende Unterschied zu den Niederlanden. Dort darf zwar verkauft werden, allerdings ist der Anbau nach wie vor illegal. Diesen Fehler wollte die Ampelregierung gerade nicht machen.
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Doch wer nun glaubt, damit sei der Fall gelöst und das Problem behoben, wer monokausal die Legalisierung von Cannabis verantwortlich für die Gewaltserie macht, unterschätzt die Komplexität der Ereignisse und verkennt das eigentliche Problem: die gewaltige Macht der Organisierten Kriminalität, die man offenbar längst nicht mehr im Griff hat.