this post was submitted on 04 Oct 2024
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DACH - Deutschsprachige Community für Deutschland, Österreich, Schweiz

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[–] General_Effort@lemmy.world 7 points 1 month ago (5 children)

Ich habe noch nie einen solchen Beitrag gesehen, in dem vernünftig erklärt wird, was diese Prozentzahlen bedeuten. Also hol ich das mal nach.

Übrigens haben solche Zwillingsstudien auch Einschränkungen. Man kann nicht zwischen Genetik und frühesten Einflüssen im Mutterleib und nach der Geburt unterscheiden. ZB ein Hang zu bestimmten Nahrungsmitteln könnte auch plausibel durch Prägungen in dieser Zeit erklärt werden. Bestimmte Medikamente (zB Contergan/Thalidomid) oder Alkohol können großen Einfluss haben. Wenn eine Mutter ihre Zwillinge zur Adoption gibt, dann sind das eher tragische Fälle, bei denen psychische Krankheiten (und damit Psychopharmaka) oder Drogensucht wohl häufiger sind als im Durchschnitt.

Aber was die Prozentzahlen angeht... Man stelle sich eine Schulklasse im Süden vor, in der alle schwarzhaarig sind. Jetzt geht einer hin und blondiert sich die Haare. Der Einfluss der Umwelt auf die Haarfarbe ist 100%. Die Umwelt erklärt die Varianz der Haarfarbe in der Klasse vollständig. Die Unterschiede bei der Haarfarbe haben keine genetische Ursache.

Wenn jetzt ein Zuwanderer aus dem Norden, mit blonden Haaren, in die Klasse kommt, dann sind 50% der Unterschiede genetisch. Wenn der Rest der Klasse dann blond super-cool findet und sich mehr Leute die Haare blondieren, dann sinkt der genetische Einfluss wieder. Wenn man sich eine hiesige Klasse vorstellt, dann gibt es alles zwischen hellblond und schwarzhaarig. Wenn sich da einer blondiert, dann ist der Anteil der Unterschiede, der durch die Umwelt erklärt wird, entsprechend geringer, weil die Varianz durch Genetik höher ist.

Jetzt überlegen wir, wie das bei der Intelligenz aussieht. Wenn jeder optimale Bedingungen vorfindet, dann ist der Einfluss der Gene 100%, denn die Gene sind dann das einzige, was limitieren kann. Optimale Bedingungen heißt nicht nur Förderung und Zugang zu Bildung, sondern auch gute Ernährung und Gesundheitsvorsorge, damit die Gehirnentwicklung nicht physisch limitiert wird.

Optimale Förderungen heißt nicht, dass alle gleich behandelt werden. ZB, wenn jemand genetisch bedingt ADHS hat, dann wird das beim IQ-Test und beim Bildungserfolg limitieren. Um das Limit aufzuheben, braucht es individuelle Behandlung. Wenn jeder die gleichen Umweltbedingungen vorfindet, dann ist der Einfluss der Genetik definitionsgemäß 100%, aber das ist nicht optimal.

Man stellt auch tatsächlich fest, dass die Intelligenz in reichen Ländern eher genetisch bedingt und in armen Ländern eher umweltbedingt ist. In ärmeren Ländern ist es eben eher Glückssache, ob jemand hinreichende Bedingungen vorfindet, um das genetische Potenzial auszuschöpfen. Eine hohe soziale Ungleichheit bedingt einen geringen Einfluss der Gene und umgekehrt.

[–] DrunkenPirate 1 points 1 month ago* (last edited 1 month ago) (4 children)

Der Einfluss von Wohlstand ist ein guter Punkt.

Ich wollte nur kurz ein wenig Klugscheissen, da die Beispiele mit Haarfarben und Genetik/Umwelt gut und plakativ sind, jedoch die Mathematik nicht stimmt.8-/

Eine Klasse mit 10 Kindern. Alle schwarze Haare. Ein Kind färbt die Haare blond. Sind 10% Einfluss der Umwelt und 90% Genetik auf die Haarfarbe.

Ein blondes Kind kommt hinzu. 11 Kinder. Sind 91% (10/11) genetischer Einfluss und 9% (1/11) durch Umwelteinflüsse.

Alle anderen Kinder färben nun blond. Sind 91% Umwelteinflüsse und 9% Genetik (das blonde Kind aus dem Norden)

[–] DonPiano 3 points 1 month ago (1 children)

"Eine Klasse mit 10 Kindern. Alle schwarze Haare. Ein Kind färbt die Haare blond. Sind 10% Einfluss der Umwelt und 90% Genetik auf die Haarfarbe."

Nein, H^2 ist die Schaetzung vom Anteil genetischer Faktoren an der Varianz: Wie viel von den Phaenotypunterschieden wurde von Genotypunterschieden verursacht (bei konstant gehaltenen Umweltfaktoren auf Populationsebene, falls du mit Mehrebenenmodellierung vertraut bist)?

100% der Unterschiedlichkeit in dem Beispiel gehen auf Umweltfaktoren zurueck, denn auf genetische Faktoren geht gar keine Varianz zurueck.

Stell dir eine Population von perfekten Klonen vor. Es gibt keine Genunterschiede, also koennen die Genunterschiede auch keine Phaenotypunterschiede verursachen. Was es nicht gibt kann auch keinen Unterschied machen. D.h. die genotypische Varianz stellt immer auch einen Deckel fuer den Genvarianzerklaerungsanteil dar.

"Ein blondes Kind kommt hinzu. 11 Kinder. Sind 91% (10/11) genetischer Einfluss und 9% (1/11) durch Umwelteinflüsse."

Nein, bei einer Binomialverteilung ist die Varianz npq, also hier dann 29/(11*11)11=18/11. Das Maximum an Varianz (absolut) die hier genotypisch erklaert werden kann ist aber 110/11. Das gleiche gilt fuer Umweltfaktorenvarianz, denn wir wissen im konstruierten Beispiel, dass genau einmal ein Umweltfaktor aktiv war, also wieder maximal 10/11. Das sind jeweils Maxima, denn es kann ja auch Faelle geben wo sich eine bereits blonde Person blondiert, d.h. die Gen- und Umweltvarianzen muessen sich nicht auf die Phaenvarianz aufaddieren.

Superadditivitaet ist bei nicht kategorialen vorhergesagten Variablen auch denkbar (Gene machen dass du eine Phaenotypeinheit groesser bist, keine Mangelernaehrung haben macht dass du eine Phaenotypeinheit groesser bist, aber wenn beide zusammen kommen hast du +10, was alles hochzieht).

[–] DrunkenPirate 1 points 1 month ago

Ah okay. Mit den Varianzen habe ich kapiert. Beim Rechnen bin ich dann irgendwann ausgestiegen 8-/

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