Im ostthüringischen Gera kämpfen sie seit Jahren gegen Rechtsextreme. Wie organisiert man sich in einer Stadt, in der die Demokraten in der Minderheit scheinen?
Noch ist der Marktplatz fast leer, als ein Mann mit schwarzer Kapuzenjacke und schwarzer Jeans zwei Lautsprecher auf einem knallgrünen Anhänger aufbaut. Die blonden Haare versteckt er unter einer dunklen Mütze. Nur der rotblonde Bart sticht heraus. Er dreht die Musik auf: "Halt' die Fresse, wenn du meinst, AfD ist schon ok – das ist ne Nazi-Partei, du weißt, was du da wählst. Das ist einfach nur normal: Alle hassen Nazis, alle hassen Nazis."
Der Mann an der Musikanlage ist Michael Rupp. Er ist Mitglied im Bündnis Gera gegen Rechts, das die Demonstration am Samstag veranstaltet. Eigentlich heißt er anders, aber zu seinem Schutz möchte er seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Auch wenn er als Mitveranstalter und Moderator in der Öffentlichkeit stehe, habe er Sorge um seine Sicherheit. Vor einigen Wochen haben Rechtsextreme in Gera den Namen eines Journalisten der regionalen Zeitung ausfindig gemacht, der über sie berichtet hatte. Daraufhin ließen sie sein Gesicht und seinen Namen auf ein Banner drucken. Das zeigen sie seitdem bei ihren Kundgebungen. Außerdem würden Name und Bild in Internetforen der rechtsextremen Szene verbreitet, sagt Rupp.
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Auch Melanie Gerstner ist beeindruckt. Sie hat nicht damit gerechnet, dass so viele kommen. Sie sagt "normalerweise sind wir eher 100 bis 200." Das, was seit einer Woche in den anderen Städten passiere, gibt ihr Kraft. "Letzte Woche hatte ich Tränen in den Augen, als ich die Bilder aus anderen Städten gesehen habe – auch in Ostdeutschland", sagt sie gerührt. Man käme sich hier so allein vor. Selbst in ihrer Familie versucht sie, politische Themen auszuklammern. Keiner von ihnen ist zur Demonstration gekommen.
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Er ist zwar froh darüber, dass an diesem Samstag so viele Menschen gekommen sind, aber er will trotzdem realistisch bleiben. Seit der Corona-Pandemie machten die Rechten jeden Montag ihre Spaziergänge, mit fast 1.000 Leute, manchmal seien es auch nur 400 bis 500. "Dass wir jeden Montag mehr Leute auf die Straße kriegen als die, das wird nicht passieren", sagt er und zuckt mit den Schultern. "Aber trotzdem haben wir ihnen endlich gezeigt, dass wir auch mal mehr sind!"
Nach ungefähr drei Stunden löst sich die Menge langsam auf.
"Klar, wir werden jetzt nicht jeden AfD-Wähler umstimmen", aber vielleicht könne man immerhin ein paar Prozente ausrichten, hofft Rupp. Dass die Zivilbevölkerung bis zu den Wahlen durchhält, hofft auch Gerstner. Denn den Nazis die Stadt zu überlassen, sei für sie keine Alternative.