ich_iel
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Ja,ich hab ehrlich gesagt Rettungsdienst durchgespielt - ich bin NotSan, Paramedic, war Leiter eines großen Rettungsdienstes, Stationsleiter eines RTH, hab den Kram studiert und bin heute als Gutachter und Fachberater bzw. Geschäftsführer unterwegs.
Was die Haftung angeht ist das eigentlich kein Problem - es gilt (mit Ausnahme von BW) immer die direkt oder indirekte Amtshaftung, insbesondere für den Entscheider. Es ist auch nicht so,dass die NotSan hier frei entscheiden dürfen, sondern an vorgegebenene Algorithmen gebunden sind. Hierbei wird bewusst zwischen den Dingen entschieden,bei denen noch ein Notarzt hinzukommen muss, und denen bei denen eine eigenständige Arbeit in Rahmen der Vorabdelegation möglich wäre. (Vorabdelegation beschreibt diese Algorithmen)
Ersteres ist mittlerweile gut ausgebaut, zweiteres gar nicht - obwohl da das Schadenspotential viel geringer ist.
Die ärztlichen Standesvertretungen sagen dir das mittlerweile auch direkt ins Gesicht,dass der ganze Heckmeck mit Telenotarzt(so wie wir es in DE einführen totaler Schwachsinn), verweigerten Vorabdelegationen, etc. nur dazu dienen soll die Zeit zurück zu drehen,da man fürchtet,dass man sonst in Zukunft eine zu geringe Rolle spielt - und Notarztdienst ist halt eine auskömmliche und im Vergleich zum Klinikalltag entspannte Ecke.
Um bei deinem Beispiel zu bleiben: Da käme ja weiterhin der Notarzt - und das ist auch okay so. Ich bin kein Gegner des Notarztsystems. Nur unseres Systems. Die Fälle die da so problematisch sind,sind die "kleinen aber häufigen Fälle". Eben der Bluthochdruck bei Oma Brömmelkamp,die unkritische Fraktur die Schmerzen hat, etc.
Um mal ein paar Absurditäten aufzuzeigen:
Wir dürfen legal einem Patienten Ketamin spritzen. Das ist ein starkes Narkotikum und Schmerzmittel,dass in England und Australien (einem System mit studierten Paramedics) nur speziell ausgebildeten Kollegen unter enger Indikationsstellung an die Hand gegeben wird. Hier ist es in den meisten Bundesländern kein Problem. Denn es ist kein BTM. Das weitaus ungefährlichere Morphin (oder das gleich gefährliche aber oft geeignetere Fentanyl) war in Deutschland dagegen lange Zeit für nicht-ärztliches Personal Tabu weil BTM. Nun hat man zwischenzeitlich das BTMG geändert und es könnte freigegeben werden - wird es aber für die Mehrzahl der Kollege in DE nicht. Warum? Weil halt. Es gibt keine fachliche Begründung,außer "gefährlich wenn das nicht-Ärzte verwenden". Die Studienlagen dazu,die einen sichere Anwendung durch Nicht-Ärzte bescheinigen werden ignoriert. Konkret heißt das: Wer eine Erkrankung hat die Ketamin ausscheiden lässt (z.B. einen Herzinfarkt) der leidet in diesen Gebieten halt weiterhin Schmerzen. Und wenn der Notarzt 40min braucht, tja. Pech. In anderen Gebieten ist die Gabe durch NotSan übrigens auf Paracetamol beschränkt.Hahaha.
Während die Gabe wie oben beschrieben ja kein Problem ist, solange parallel ein NA anfährt, ist eine andere Situation nicht lösbar: Ich arbeite am Land, die Straßen sind kurvig. Wird dem Patienten schlecht, haben wir beide ein Problem: Ich kann zwar dem Patienten theoretisch ein Medikament dagegen geben. Das ist hunderttausende Male erprobt, die Nebenwirkungen bei Nicht-Schwangeren sind minimal,durch den NotSan bei vorheriger Diagnostik fast sicher auszuschließen,etc. Aber: Ich darf es nicht. Die eigenenverantwortliche Kompetenzregelung stellt die Gefahr für Leib und Leben bzw. von wesentlichen Folgeschäden als Bedingung. Das ist beim kotzenden Patienten erstmal nicht gegeben. Gleichzeitig hat so gut wie kein RD in Deutschland diese Medikamente "delegiert" sprich anderweitig freigegeben. Ergo darf der Patient weiter kotzen. Im einundzwanzigsten Jahrhundert.
Die Scheisse entsteht wie gesagt auf Basis von einzelnen Entscheidern die sich an NIX zu halten haben. Es gibt in Deutschland/Europa eigentlich zu allen medizinischen Versorgungsthemen Leitlinien. Nur im Bereich der Algorithmen und Freigaben kann jeder ärztliche Leiter Rettungsdienst entscheiden wie er will. Leitlinien? Scheiss drauf! Aktuelle Forschungslage? Scheiss drauf! Old white man rule! Das sorgt dafür,dass tlw. nebeneinander liegende Bereiche komplett andere Standards haben. NRW ist da besonders schlimm - während die Kollegen im einen Kreis fast nix dürfen kann es dir passieren,dass sie 2km weiter wenigstens halbwegs sinnvoll arbeiten dürfen, 5km weiter aber wiede nicht mehr.
Das Geile ist ja,dass ein guter Teil der Notärzte das auch nicht mehr gutheißt - nur musst du halt für solche Positionen die richtigen Ärsche hoch kriechen und das wollen die meistens auch nicht/sind eben andere schneller.
Was übrigens viele nicht wissen: Die Notarztausbildung bei uns ist dagegen vollkommen lächerlich: Ein 80h Kurs(tlw. sogar kürzer was die Präsenz angeht), 6 Monate die Intensivvisite mitlaufen und zwei Weiterbildungsjahre reichen,damit du in Deutschland Notarzt spielen darfst. Die gleichen Ärzte dürfen lustiger Weise in der Klinik nie einen Notfall alleine versorgen, geschweige denn Großeinsätze leiten (der ersteintreffende Notarzt ist bis zum Eintreffen des leitenden Notarztes der maßgebliche Teil der med. Einsatzleitung...viel Spaß wenn du sowas wie Eschede hast), geschweige denn dürften diese Ärzte alleine fachfremde Notfälle (Chirurg muss Narkose machen?Internist Kinder versorgen?) versorgen. Draußen? Schaut ja keiner so genau. Auch musst du dich in fast allen Bereichen Deutschlands null fortbilden - du hast nur deine allgemeine ärztliche Fortbildungspflicht. Diese kann aber auch über Bachblüten sein. Dementsprechend gibt es genug "Hausarzt"-Notärzte da draußen die seit 30 Jahren kein Update mehr erfahren haben, die die relevanten Skills noch nie oder so selten gemacht haben,dass diese nicht sitzen können. (https://denkanloenne.de/ - und jeder RDler der lange genug dabei ist kennt ähnliche Fälle) Ich muss vor Gericht ggf. nachweisen,dass ich 100x intubiert habe und dies 25x pro Jahr tue. Dem ärztlichen Beruf wird dies pauschal bescheinigt.
System kaputt.