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Nordrhein-Westfalen

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Im mutmaßlichen Betrugsskandal beim Dortmunder Ökostromanbieter Stadtenergie wurden deutlich mehr Menschen Opfer manipulierter Abrechnungen als bisher erwartet: Bei exakt 71.505 Kundinnen und Kunden stellte die interne Revision „Unregelmäßigkeiten“ fest. Diese Zahl gab am Donnerstag die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW21) bekannt, Tochter der Dortmunder Stadtwerke (DSW21) und Muttergesellschaft des vor dem Aus stehenden Ökostrom-Ablegers Stadtenergie.

Deutlich zu viel gezahlt haben in den Jahren 2022 und 2023 vor allem Haushalte, die Gas über Stadtenergie bezogen haben, aber auch Stromkunden. Bisher kursierten in Dortmund Schätzungen von 30.000 bis 40.000 der zuletzt rund 50.000 Stadtenergie-Kunden, offiziell hatte DEW21 aber nie Schätzungen genannt. Dass nun Zehntausende Betroffene mehr identifiziert wurden, dürfte an der großen Zahl geprellter Kunden liegen, die längst gekündigt haben. Insgesamt haben die Wirtschaftsprüfer und IT-Experten in den vergangenen Monaten 124.750 Verträge überprüft, wie DEW jetzt mitteilte, demnach waren die Rechnungen von mehr als der Hälfte zu hoch.

Der Gesamtschaden für die Stadtwerke fällt trotzdem niedriger aus als bisher befürchtet: Die nun zu leistenden Rückzahlungen summieren sich laut DEW21 auf insgesamt 24,6 Millionen Euro. Bisher war der Schaden auf 36 Millionen Euro geschätzt worden. Rechnerisch erhält jede und jeder Betroffene damit im Durchschnitt rund 350 Euro zurück.

Laut Jahresbilanz hatte DEW21 Rückstellungen für einen Schaden in Höhe von 74 Millionen Euro gebildet. Diese Summe entspreche dem Verlust, den Stadtenergie im Jahre 2023 eingefahren habe, heißt es in der DEW21-Bilanz für 2023. Diese Zahl ist deutlich höher, weil die Bilanzen der Stadtenergie im Nachhinein für zwei Jahre nach unten korrigiert werden müssen. Zu den Rückzahlungen kommen noch die bilanzielle Rückabwicklung der durch die überhöhten Abrechnungen deutlich geschönten Jahresabschlüsse der Ökotochter hinzu.

Mit den Rückzahlungen will DEW21 nach eigenen Angaben in der 43. Kalenderwoche, also in elf Tagen beginnen. Gegebenenfalls erhalten die Kundinnen und Kunden neben der Rückerstattung dann auch eine Anpassung ihrer monatlichen Abschläge, was nach Lage der Dinge eine Senkung bedeuten müsste.

Intern aufgefallen waren die Unregelmäßigkeit im Frühjahr 2024, öffentlich aufgeflogen ist der Abrechnungsskandal im Mai. Stadtenergie nimmt seitdem keine Neukunden mehr auf und soll nach dem Willen des Oberbürgermeisters und DEW-Aufsichtsratschef Thomas Westphal (SPD) abgewickelt werden. „Das Tochterunternehmen Stadtenergie hat aus meiner Sicht keine Zukunft“, sagte er unlängst unserer Redaktion.

Was alles zu viel berechnet wurde, listet DEW21 nun auf: Gaskundinnen und -Kunden wurden in der Energiekrise 2022/23 insbesondere vom Gesetzgeber initiierte Entlastungen bei der Mehrwertsteuer, der geplanten und wieder gekippten Gasbeschaffungsumlage und den Netzentgelten nicht weitergegeben. Sie sollen nun insgesamt 23,2 Millionen Euro zurückerhalten. Stromkunden erhalten „unzulässige Preisanpassungen“ in Höhe von 1,4 Millionen Euro erstattet.

Die vielen gesetzlichen Änderungen in den Krisenjahren wurden bei Stadtenergie offenbar bewusst genutzt, um die sich verschärfende Krise des Unternehmens zu kaschieren. Davon geht jedenfalls die Staatsanwaltschaft aus, die seit dem Sommer wegen Betrugsverdachts ermittelt.

Für die Manipulation der Kundendaten wird ein ehemaliger Prokurist verantwortlich gemacht. Mitte Juli ließ die Staatsanwaltschaft seine Wohnung und sein Auto durchsuchen. Gegen seine Freistellung bei Stadtenergie hat der Mann vor dem Arbeitsgericht Dortmund geklagt, der Prozess soll im November beginnen.

Ein juristisches Nachspiel haben auch die Wirren um die Beschaffungsstrategie von DEW21 selbst in den Krisenjahren. Die damalige DEW-Chefin Heike Heim soll für zu riskante und verlustträchtige Energieeinkäufe die internen Risikoplanken gerissen und den Aufsichtsrat darüber im Unklaren gelassen haben. In diesem Sommer wurde ihr als inzwischen zur Chefin der Stadtwerkemutter DSW21 aufgestiegenen Topmanagerin deshalb fristlos gekündigt. Heim wehrt sich dagegen und hat beim Dortmunder Landgericht Klage gegen ihre Kündigung eingereicht.

Siehe auch: „Im Blindflug“: So versanken Dortmunds Stadtwerke im Chaos

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