Die Bundeswehr erweitert den Kanon ihrer Soldaten, in deren Tradition sie stehen will. Bei manchen Wehrmachts-Soldaten will man es nicht mehr so eng sehen.
Die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende verändert jetzt auch die Traditionspflege bei der Bundeswehr. Bislang regelt der Traditionserlass von 2018 die Erinnerungskultur in der Truppe, die angesichts der deutschen Geschichte und der Gräueltaten der Wehrmacht durchaus heikel ist.
Dieser Erlass bleibt weiter gültig, wird jetzt aber ergänzt: Die Bundeswehr will künftig mehr die Kriegstüchtigkeit betonen, die Verteidigungsminister Boris Pistorius angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine proklamiert.
Im Traditionserlass von 2018 wird die Wehrmacht als ganzes als nicht traditionswürdig bezeichnet. Einzelne Wehrmachts-Soldaten können aber in das Traditionsgut der Bundeswehr aufgenommen werden, vorausgesetzt sie haben sich durch eine Leistung, wie eine „Beteiligung am militärischen Widerstand“ gegen die Nationalsozialisten, ausgezeichnet.
Jetzt soll diese Regelung erweitert werden: Fortan sollen „nicht nur diejenigen Angehörigen der Wehrmacht, die dem militärischen Widerstand zuzuordnen sind“, sondern auch solche, die nach 1945 beim Aufbau der Bundeswehr mitgewirkt haben, in den Traditions-Kanon der Bundeswehr aufgenommen werden.
„Was? Ihr habt Progrome verübt und Menschen ins KZ gebracht? Ach egal, ihr wart ja danach auch noch in der Bundeswehr, wo ihr eure Ideolie weiter verbreitet habt.“
Denn, so heißt es in den ergänzenden Hinweisen, die der Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, am 12. Juli 2024 intern verschickt hat: „Die rund 40.000 von der Wehrmacht übernommenen ehemaligen Soldaten hatten sich zu großen Teilen im Gefecht bewährt und verfügten somit über Kriegserfahrungen, die beim Aufbau der Bundeswehr unentbehrlich waren.“
Künftig brauche die Bundeswehr deshalb Beispiele „für militärische Exzellenz, Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf zum Ziel, wenn es der Auftrag erfordert“, begründet Rohrschneider die ergänzenden Hinweise in einer Weisung. Gleichzeitig warnt die Ergänzung aber auch davor, Kriegstüchtigkeit auf das „Fallen im Einsatz“ zu reduzieren.
Das bleibe zwar „unzweifelhaft Beispiel für soldatische Tugenden wie treues und tapferes Dienen“, aber: „Es ist jedoch nicht per se als Beispiel für traditionsstiftende militärische Exzellenz, herausragende Haltung oder militärischen Erfolg geeignet.“
Angehängt ist der Ergänzung eine Liste 24 „traditionsstiftender Personen“. Dort findet sich dann unter anderen Brigadegeneral Heinz Karst, der in der Bundeswehr die „Überbetonung des zivilen Anteils an der Inneren Führung“ kritisiert habe.
Das Verteidigungsministerium weiß über ihn anerkennend zu berichten: „Wurde für seine auf Kriegstauglichkeit gerichteten Positionen Anfang der 70er Jahre unter anderem durch das Spiegel-Magazin öffentlich kritisiert.“
Oder Oberst Erich Hartmann, wegen 352 Luftsiegen im Zweiten Weltkrieg „erfolgreichster Jagdflieger der Militärluftfahrt“. Später habe er „wohlargumentiert die Einführung des ‚Starfighters‘“ kritisiert, also des Kampfflugzeuges, das für seine hohe Absturzrate berüchtigt war.
Wir sind wirklich an einem Punkt, an dem wir Wehrmachtsgeneräle loben, weil sie eine militärische Entscheidung kritisiert haben
Ebenfalls gewürdigt wird Konteradmiral Erich Topp „im Zweiten Weltkrieg einer der erfolgreichsten U-Boot-Kommandanten“. Denn das frühere Mitglied von NSDAP und SS „setzte sich nach 1945 sehr kritisch mit der eigenen Vita sowie der Rolle der Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg auseinander“.
„Wir ehren dich, weil du deine eigenen Verbrechen aufarbeitest“
Wehrmachtssoldaten zu würdigen, sei generell problematisch, findet dagegen Günter Knebel von der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Damit würden sie aufs „rein Soldatische“ reduziert: „Hier wird der Kontext außer acht gelassen, in dem die Soldaten gekämpft haben“, kritisiert er.
Zeitlose soldatische Tugenden gebe es nicht, betont auch Jakob Knab, Sprecher der Initiative gegen falsche Glorie, die sich kritisch mit der Traditionspflege der Bundeswehr auseinandersetzt. „So wird die Kriegstüchtigkeit der Wehrmacht enthistorisiert und damit entnazifiziert.“
Mit der Ergänzung werde der Traditionserlass „in die falsche Richtung gelenkt“, kritisiert Knab. Die Bundeswehr solle nicht kriegstüchtig, sondern abwehrbereit sein: „Es reicht, wenn sie ihren Soldateneid ernstnehmen, da braucht man keine Vorbilder aus der Wehrmacht.“
Wo ist der Vorteil von Tradition in einer militärischen Organisation?
Ernst gemeinte Frage!
Geht es dabei nicht vielleicht um so Dinge wie Identität, Geschichte und/oder Vorbilder?
Hat nicht jeder in gewisser Hinsicht irgendwo ein Bedürfnis, sich als Teil eines größeren Ganzen bzw. Teil einer Geschichte zu sehen? Ob das nun der Fan der Arbeiterbewegung ist, der auf seine Marx-Büste blickt, das Vereinsmitglied, das im Vereinsheim auf die Ahnengalerie der Vorsitzenden linst oder Markus Söder, der erwartungsfroh zwischen der Liste der CSU-Ehrenvorsitzenden und dem gerahmten Bild vom Kini an der Wand hin- und herschaut..
Gerade beim Militär muss der Einzelne ja letztendlich bereit sein, sein Leben für das Land aufs Spiel zu setzen. Ich kann mir schon vorstellen, dass das "leichter" fällt, wenn man nicht für eine aseptisch-bürokratische Behörde dient, sondern (bin mit den folgenden Worten nicht ganz glücklich, kann es aber nicht besser ausdrücken) "greifbarer" und mit dem "Halt" und "Inspiration" von Traditionen und Vorbildern.
Ich sehe aber natürlich auch, was für ein vermintes Terrain wir da vor uns haben und würde eher in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg nach diesem Halt und Tradition schauen.
Danke für die Mühe! Tatsächlich bin ich voll bei dir, dass wir Menschen das Bedürfnis haben - gerade wegen des Leben-nehmend und Leben-riskieren habe ich da wahrscheinlich kein gutes Gefühl.
Dieses "große Ganze" hat einfach eine zu große Gefahr, selbst Ziel zu sein. Gerade das Schweiß, Blut und Tränen mit Disziplin als oberstes Ziel kann halt schnell gegen alles und jeden gewendet werden, statt "für" etwas.
Ist ein sau kompliziertes Thema, können wir (als Gesellschaft) wahrscheinlich nur falsch machen, wie sich X Jahre später dann raus stellt.
Noch mal danke auf jeden Fall!
Danke für deine Worte!
Ich finde das auch, ich wüsste aber auch nicht, ob ich letztlich den Mut zur o.g. Bereitschaft hätte, das Leben aufs Spiel zu setzen. Da ich aber die grundsätzliche Notwendigkeit dazu anerkenne, bin ich sehr froh, dass es andere gibt, die das auch für mich tun.
Das ist definitiv richtig, ich würde dem aber gerne einen anderen Gedanken entgegensetzen: quasi seit es die Bundeswehr gibt, haben wir diese Diskussion. Es gibt dort also definitiv das Verlangen nach Tradition. Gleichzeitig haben wir - verständlicherweise - ein Volk, das z.T. extreme Berührungsängste gegenüber dem Militärischen hat. Beides muss aber zusammenkommen, wenn wir keine Parallelwelten haben wollen. Der rechte Schmuddelscheiß, den du da ansprichst, wuchert mMn auch deshalb dort, weil wir als Gesellschaft diesen Raum nicht selbst belegt haben. Würden wir uns als Gesellschaft zusammen mit der Bundeswehr tatsächlich ehrlich machen und diesen Traditionsraum ausdefinieren, hätte die Bundeswehr die Tradition, die sie haben möchte und wir in der Breite mehr Vertrauen und weniger Unwohlsein bezüglich des Treibens hinter dem Kasernenzaun.
Mehr Rekruten, Bessere Truppen Moral, die Truppe kommt weiter in die Gesellschaftliche mitte (was gegen Extremismus hilft)
Eine eigene Kultur ist doch bei den Punkten gegen wirkend. Kultur ist Trennung in "innen" und "außen", je stärker sich Bundeswehr eigene Kultur gibt desto mehr wird das Militär los gelöst von der Zivilgesellschaft.
Den Moralaspekt verstehe ich!
Danke dir!
Nicht zwingend, eine eigene Kultur kann ja auch sein regelmäßig zu Anlässen eine parade zu veranstalten, oder die leute zu anlässlichkeiten in die Kasernen einladen, über die Truppe Aufklären eben zu anlässlichkeiten. Aber auch ein stärkeres Miteinander innerhalb der Bundeswehr ist wichtig, eine Armee braucht zusammenhalt und Zugehörigkeit. Ich will ja hier keine Zustände wie bei den Ammis, aber hier und da ein bisschen mehr aufeinander zu gehen ist wichtig, und dabei spielen Traditionen eine große Rolle, zu diesen Traditionen kann man natürlich auch immer die historischen Aspekte der Ereignisse besprechen, dabei sollte die NS Zeit aber nicht den Großteil übernehmen, die meisten richtigen Traditionen greifen viel weiter zurück, oft auch noch vor das Deutsche Kaiserreich. Dabei kann man auch durch die lokalen Begebenheiten Anklang finden, viele Kasernen haben früher einfach mit in eine Region gehört (der Panzer kommt aus Munster, der Gebirgsjäger aus Bayern Baden-Württemberg oder Sachsen, die Marine aus Hamburg und Rostock und so weiter) gerade Das kann für mehr Rekruten sorgen und dafür das die Bundeswehr wieder mehr in der Gesellschaftlichen Mitte stattfindet, die dauerhaften Nachrichten darüber wie viele rechtsextreme es doch gibt waren mist und das muss sich in Zukunft ändern.
Bin größtenteils bei dir, bis auf den letzten absatz: wenn es die rechtsextremen Strömungen gibt müssen wir darüber berichten und eine Kultur aufbauen, die eben "Volk" nicht als einen Begriff aufgreift und ohne "wir sind besser als andere". Gerade wenn wir ein gesellschaftlich integriertes Militär wollen. Sonst haben wir wieder so eine Polizei Situation, die sich immer mehr gesellschaftlich entfremdet, weil "hier gucken wir mal nicht hin".
In wieweit dort Routinen und Kult(vom früher hilft kann ich tatsächlich null ein schätzen.
Eventuell müsste man von null anfangen, wie bei nem vermurksten startup: darum gibt es uns, das wollen wir und für diese Werte treten wir ein - um danach alle Fragen konsequent daran aus zu richten. (passiert in der Wirtschaft selten, im öffentlichen noch seltener, ist mir bewusst)
Ich glaube du hast das falsch verstanden, ich finde den Umgang mit dem Problem nicht richtig, das man das Problem ansprechen muss ist logisch, und genau deswegen muss die Kommunikation verbessert werden. Einige Medien stellen die Bundeswehr ja als Grundsätzlich rechts der AFD dar und genau dieses narrativ befeuert eben den Trend das Menschen der Gesellschaftlichen Mitte eher weniger zur Bundeswehr wollen (die linkeren wird man wohl so oder so nicht bekommen)und dann wird das halt zur selbst bewahrheitenden Wahrheit.
Mehr Tradition würde für mehr teilhabe sorgen und viele von denen die sich Stigmatisiert fühlen wieder bestärken, mit mehr Rekruten kann man auch die Extremisten leichter ersetzen ohne das man dann heftige Lücken bekommt. Daher ist es eher wahrscheinlich das mehr Tradition auch das bessern würde, es soll ja kein "wir gegen die" entstehen.
Von null Anfangen stelle ich mir als ziemlich unmöglich vor, vorallem weil man das Knowhow braucht das dabei verloren gehen würde, bei einem startup mag das gehen, aber bei einem "Unternehmen" mit über 100.000 Mitarbeitern geht das nicht, das würde zu völligem Chaos führen und unter anderem dazu das eben viele wichtige Fachleute nicht mehr da sind.
Danke für die Klarstellung! Ähnliche Antwort zu dem bei Null anfangen: mir ging es nur um die Kultur Diskussion, nicht die Orga als ganzes. Also nicht "wie erweitern wir den Kultur Paragraphen" sondern "wie können wir gesellschaftlich und intern besser klar stellen, warum es uns gibt und wir wichtig für die Gesellschaft sind".
Ist aber fast genauso utopisch..